Die Halbinsel Akrotiri, die sich östlich von Chania ins
kretische Meer vorschiebt, ist vor allem durch das Dörfchen Stavros bekannt, in
dem Anthony Quinn den Aléxis Zórbas spielt und am Fuß des Berges Sirtáki tanzt.
Viel interessanter als das Örtchen, das von den Tagestouristen aus Chania
überschwemmt wird, ist das Hinterland. Bis zu fünfhundert Metern erheben sich
die Berge aus der Ebene heraus. Hier befindet sich auch das Kloster Agía
Triáda.
Eine von Zypressen gesäumte Straße führt zu der mächtigen
Anlage im Renaissancestil. Wir halten neben dem Treppchen, das Reitern im 17.
Jahrhundert das Aufsteigen erleichtern sollte. Breite Stufen führen zum
Eingangstor hinauf. Ein alter, ins traditionelle Schwarz gekleideter Mann sitzt
dort und verkauft die Eintrittskarten. Lauter Fältchen um die Augen zeugen von
einem fröhlichen Gemüt. Als er sieht, dass ich gehandicapt bin, winkt er uns
durch. Das habe ich schon oft in Klöstern erlebt, offenbar vereinbart es sich
nicht mit dem orthodoxen Glauben, Behinderten Geld abzuverlangen, selbst wenn
es nur bescheidene Beträge sind. Ich bedanke mich überschwänglich auf
Griechisch. Der Alte schaut auf. „Milás elliniká?“, du sprichst griechisch,
fragt er. Ja, sage ich. Er grinst breit und freut sich. Für ein Gespräch hat er
keine Zeit, denn an seinem Tischchen steht ein Mann und will Eintrittskarten
erwerben. Wir betreten das Kloster. Aufgänge und Bögen verleihen dem Hof etwas
malerisches. Überall wuchern Blumen. Vor dem Eingang zur Kirche steht ein
mächtiger Orangenbaum. Doch halt, da hängen auch Zitronen dran. Wir schauen uns
den Baum näher an. In diesem Augenblick plappert hinter uns eine Stimme los.
Der Alte vom Eingang. Ich verstehe, dass der Baum vier Sorten Früchte trägt.
Tatsächlich entdecken wir auch Limonen und Mandarinen. Der Baum sei dreihundert
Jahre alt, erzählt der Mann. Es folgt ein Wortschwall, begleitet von Gesten.
Denen entnehmen wir, dass die Früchte gepfropft worden sind. Er pflückt eine
unreife Limone, kratzt mit dem Fingernagel an der Schale und hält mir die
Frucht unter die Nase. Sie duftet intensiv und frisch. „Kalá?“, gut, fragt er.
Ich nicke.
Während Frank Fotos schießt, setze ich mich auf eine Bank im
Klosterhof. Der Alte wuselt zu seinem Tisch, dann kommt er wieder. Er erzählt
mir, dass er Panagiotis heißt. Er hat Theologie studiert. Schon immer ist er
den Mönchen zur Hand gegangen. Die Griechen haben ihre Religion ins tägliche
Leben eingebunden. Selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es Nachwuchs für
die Klöster. In Agia Triada leben fünf Mönche. Sie produzieren Wein, Olivenöl
und Raki. Außerdem verkaufen sie kleine Ikonen und Votivtäfelchen, versilberte
Bilder von Körperteilen. Wenn sich ein Grieche zum Beispiel das Bein gebrochen
hat, erwirbt er eines mit einem Unterschenkel drauf. Das legt er an einem
heiligen Ort ab und sichert sich dadurch die göttliche Hilfe bei der Heilung.
Der griechisch-orthodoxe Glaube kommt mir ehrlicher vor, als das bei uns
praktizierte Christentum.
Panagiotis löchert mich inzwischen mit Fragen. Woher wir
kommen, in welchem Ort wir schlafen, wie oft wir schon auf Kreta waren, was wir
mögen. Es gefällt mir, meine Griechischkenntnisse anzuwenden. Frank stößt
wieder zu uns. Gemeinsam gehen wir zum Tor. In dem breiten Durchgang geht es
auf der Linken zu einem kleinen Museum, auf der Rechten in den Laden, in dem
die Mönche ihre Produkte anbieten. Wir versuchen uns zu verabschieden,
Panagiotis aber schiebt uns entschieden in Richtung Museum. Er erzählt etwas
von den Schätzen, die es hier gibt, und winkt, dass wir hineingehen sollen. Nun
denn, wir tun ihm den Gefallen, obwohl kirchliche Kunst für uns nicht so
interessant ist. In drei Kammern sind vergoldete Ikonen, liturgisches Gerät aus
Silber und eine uralte Bibel ausgestellt. Als wir das Museum verlassen, wartet
Panagiotis auf uns. Er hat eine Idee.
Seine Tochter hat Deutsch gelernt, ich griechisch und
deshalb soll ich jetzt mit ihr telefonieren. Ich soll was? Ich bezweifle, dass
ich das gerade richtig verstanden habe. Meine Einwände lässt Panagiotis nicht
gelten. Er nimmt meine Hand und zieht mich in den Laden. Frank folgt mit
verwundertem Gesichtsausdruck. Ich sage nur, dass ich jetzt telefonieren soll.
Im Laden redet Panagiotis so schnell auf den Mann hinter dem
Tresen ein, dass ich überhaupt nicht mehr folgen kann. Der schiebt ihm das
Telefon zu. Panagiotis drückt mit seinen rauen Fingern die Tasten und murmelt
dabei die Ziffern vor sich hin. Es klingelt. Ich fasse immer noch nicht, was
gerade geschieht. Griechisch beherrsche ich soweit, dass es für eine einfache
Unterhaltung reicht, die Biografie, Urlaub, Essen und Zimmersuche abdeckt.
Einem Telefonat fühle ich mich nicht gewachsen. Panagiotis spricht unterdessen
mit jemandem. Dann legt er mit bekümmertem Gesicht auf. Das war sein Enkel.
Seine Tochter sei gerade in Athen. Das ist ja so schade, dass ich nicht mit ihr
telefonieren kann. Ich weiß nicht so recht, ob ich traurig oder froh sein soll.
Während ich Frank das Gespräch übersetze, sagt Panagiotis
wieder etwas zu dem Mann hinter dem Tresen. Dieser holt ein hübsch geformtes
Fläschchen mit Korken aus einem Schrank und packt es ein. Raki. Panagiotis
erklärt uns, der gute Stoff, den die Mönche herstellen, sei wie Medizin und
helfe bei Erkältung, gegen Kopfweh, Muskelschmerzen und alle möglichen anderen
Beschwerden. Dann überreicht er uns das Päckchen und nötigt uns das Versprechen
ab, wieder nach Kreta zu kommen. Vielleicht könne ich dann mit seiner Tochter
telefonieren.
Als wir die breite Treppe hinuntergehen, steht Panagiotis im
Torbogen und winkt uns nach. Erst als wir im Auto sitzen, wendet er sich um und
geht ins Kloster zurück.
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